Kapitel 1

Ich fühlte mich beschissen. Drei Uhr morgens am Flughafen Weeze. 7 Stunden vorher haben wir Berlin verlassen und jetzt standen wir hier. Hungrig, dreckig, müde, man fühlte sich einfach wie Müll. Marv guckte lethargisch auf sein Handy, Aike blätterte in Tourismus-Heftchen über Weeze (…) und ich aß mein letztes Brot. Jaki und Christian brachten gerade den Bus auf einen Parkplatz, wo er die nächste Woche stehen würde. Im Vorfeld wurden wir oft gefragt, warum und vor allem wie wir es schafften an solchen unüblichen Orten zu touren. Aber wie so oft ist es viel einfacher als man denkt. Wir arbeiten, wir kaufen die Tickets, wir fliegen hin. Jemanden zu finden, der Hardcore-Konzerte macht, war immer das kleinste Problem. Momentan war das weitaus größere Problem die Ryanair-Angestellte, die sich weigerte Aikes Bass als normales Gepäckstück aufzugeben. Fluchend zahlten wir die 50EUR Zusatzgebühr und betraten ein volles Flugzeug. Es war wie in einem Alptraum für Flugangstpatienten. Schreiende Kinder auf den Schössen von überforderten Müttern, dumme Deutsche Touristen und genervte Marokkaner. Vom Flug bekam ich wenig mit, ich schlief durchgehend. Meine Gitarre stand neben mir auf ihrem eigenen Sitzplatz. Ganz angenehm. „Guck mal ein See, hier gibt es auch Seen, guck mal eine Stadt, die sieht fast so aus wie eine richtige Stadt.“ Die Deutsche Touristin vor mir schien sich mit dummen Aussagen zu Marokko selbst übertreffen zu wollen. Wir landeten in Fes. Mit Vorurteilen ist das ja so ein Ding, ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe, aber solch einen modernen Flughafen eher nicht. Am Einreiseschalter ging es schnell. Unangenehme Fragen wurden nur Marv gestellt, der eine Reihe neben uns stand. Marv ist ein Magnet für Probleme. Natürlich ist es nie seine Schuld. Und eigentlich waren wir selbst ja nur fünf dumme Touristen. Daher wurden wir vermutlich auch durchgelassen. Das Gepäck kam schnell. Viele Flüge schienen hier nicht zu landen. Die Sonne ballerte auf uns nieder. Zum Abholen stand keiner da. Dabei hatten wir uns das so schön ausgemalt, wie richtige Rockstars mit Schild abgeholt zu werden. Wir positionierten uns neben den Eingang in der Nähe von drei schwer bewaffneten Militärs um kurz die Lage zu checken. Christian schrieb Jeffrey eine SMS. Er, bzw. jemand sei unterwegs. Vor ca. zwei Jahren spielten wir eine Spanien/Portugal-Tour. Im Rahmen dieser wollten wir eigentlich mit dem Auto auch weiter nach Marokko. Schon damals standen wir in Kontakt mit Jeffrey. Vor zwei Jahren hatte es nicht geklappt, diesmal sollte es klappen, hofften wir in dem Moment zumindest. 20 Minuten später kamen zwei Jungs, lass sie 17 gewesen sein, mit Kamera, die uns nach Meknes bringen sollten. Jeffreys Handlanger vermutlich. Zwei uralte E-Klassen dienten als Taxi. Der Preis betrug umgerechnet 12EUR. Wie gute Verhandler sahen die beiden Jungs nicht aus, aber andererseits waren wir nur froh unterwegs zu sein. Ca. 15 Minuten dauerte es vom Flughafen zum Bahnhof. Der Verkehr war wild, die Stadt chaotisch. An jeder Ecke wurde gebaut. Die Taxifahrer interessierten sich nicht groß für uns. Eigentlich interessierte sich keiner für die fünf hell weißen, schlecht tätowierten Deutschen, bzw. den Ungarn. Der Bahnhof war nagelneu und modern. Auch hier war alles voller Militär und Polizei. Wir kauften die Bahntickets für umgerechnet 2EUR pro Person. 40 Minuten sollte es dauern. Ein moderner Zug wartete an Gleisen. Im Schatten der Orangenbäume rauchten ein paar ältere Männer. Christian, Aike und ich teilten uns ein Abteil mit einer kleinen marokkanischen Familie. Ab und zu lächelten sie uns schüchtern an, wir lächelten schüchtern zurück. Sie bedankten sich höflich, als wir sie vorbeiließen. Wir verpassten beinahe unsere Station. Die beiden Jungs schienen selbst nicht genau zu wissen, wo wir hin mussten.

“Direkt davor ein Orchestergraben, der der sichere Tod jeden Stagedivers sein würde, dahinter 35 Sitzreihen Stühle.”

Kapitel 2

Wir hatten von Anfang an Befürchtungen, dass es vielleicht keine Show geben würde. Die Planlosigkeit der beiden Handlanger trug nichts zur Zerstreuung der Befürchtungen bei. Aber da standen wir, Meknes Bahnhof, ähnlich sauber, ähnlich viel Militärs und wieder interessierte sich keiner für uns. Ein paar weitere, ich sag mal junge Menschen mit T-Shirts von Metalbands bildeten das Abholkommando. Der Club sei nicht weit. 5 Minuten. Wir wussten, was es bedeutet, wenn jemand sagt, ein Ort sei 5 Minuten entfernt: Er ist mindestens 15 Minuten entfernt...Also liefen wir. Nach 5 Minuten hielt ein Auto neben uns, ein weiterer Kumpel unseres Abholkommandos. Wir verluden unsere Sachen sowie Christian ins Auto und sie fuhren davon. Richtung Club. Der Rest lief weiter, inzwischen war es früher Nachmittag. Die Straßen waren staubig. Es war warm, nicht heiß. Die Menschen nahmen nach der Mittagspause langsam ihre Arbeit wieder auf. Nach weiteren 5 Minuten erreichten wir dann den Club. Wobei Club das falsche Wort ist, es war ein Kino. Ich schätze 900 Sitzplätze mit Rang. Viele erwartungsvolle Augen folgten uns, manch einer traute sich sogar uns schüchtern die Hand zu schütteln. Wir verzogen uns auf den Rang und machten es uns dort gemütlich. Die beiden Jungs, die uns seit Fes begleiteten, schlugen ihr Lager ein paar Meter weiter auf ohne uns aus den Augen zu lassen. Sie genossen ihr Führer/Security-Rolle und wir hatten sie inzischen lieb gewonnen. Wir beobachteten interessiert den Soundcheck der anderen Bands. Etwas kurios war das alles schon. Kleine Gitarrenverstärker standen auf einer 20 Meter Bühne. Direkt davor ein Orchestergraben, der der sichere Tod jeden Stagedivers sein würde, dahinter 35 Sitzreihen Stühle. Unser Soundcheck war scheiße. Zum Leide aller Tontypen verzichten wir, solange es geht, gern auf jegliche Abnahme von Gitarren und Bass und damit auch Monitorboxen. Auf einer großen Bühne war das unmöglich, auf einer Kinobühne erst recht. Nach dem Soundcheck hatte keiner von uns ein gutes Gefühl, aber wir waren zu hungrig um uns Sorgen zu machen. Ein freundlicher Mitarbeiter des lokalen Kulturvereins führte uns zu einem Imbiss um die Ecke. Er entschuldigte sich, dass wir nur in dem kleinen Saal des Kinos spielen sollte, da der große Saal nicht frei war. War ok, wir verziehen ihm. Es würde ja nicht heißen, dass 500 enttäuschte Menschen an der Tür abgewiesen werden würden. Er begrüßte den Besitzer des kleinen Restaurants/Imbiss mit Handschlag und wir bestellten einmal die Karte rauf und runter. Tajine, Gemüse, Pommes, Cola, Tee. Der Besitzer war sichtlich bemüht unseren unendlichen Hunger zu stillen. Um uns tranken alte Männer Tee, verschleierte Frauen kamen vom Einkaufen und Kinder spielten in den verstaubten Straßen. Du fliegst auf einen anderen Kontinent, aber ein Nachmittag ist einfach ein Nachmittag.
Als wir fertig waren wurden wir vom Besitzer am Zahlen gehindert, es sei alles schon beglichen. Nicht einmal ein Trinkgeld wollte er annehmen.Wir liefen die zwei Minuten zum Kino zurück und verzogen uns auf den Rang. Wir waren fertig und wollten nur, dass es bald losgeht. Die ersten Menschen standen bereits vor dem Kino und beobachteten uns neugierig. Der Trend ging Richtung Metal- und Computerspiel-Shirts. Jaki und Christian bauten das Merch im Foyer auf, Aike, Marv und ich beobachteten die Vorbands. Bei der ersten Band war zumindest die Lichtshow eindrucksvoll. Die Gäste, Durchschnittsalter weit unter unseren eigenem Alter, saßen brav in den Sitzen bis der Sänger sie aufforderte mit zu tanzen. Der Sänger, auch so ein Phänomen, wusste nicht so recht ob er lieber Opern- oder Rocksänger sein wollte, machte aber beides ganz gut. Die zweite Band war eine gute Version von Metallica. Sie sangen besser, spielten besser und sahen besser aus. Danach wir. Was soll ich sagen. Show ist erst mal immer Show, egal ob in Moskau, Großenhain oder Meknes. Aber irgendwie hatten wir es mit unserem Rumpelhardcore nach Afrika geschafft. Ich guckte mir Christian, Marv und Aike an und nach dem dritten Song hatten wir es alle kapiert. Scheiß auf ungewöhnlichen Sound, scheiß auf die viel zu große Location, scheiß auf alle Hater, das sollte uns irgendjemand von den ganzen Vollidioten erst einmal nachmachen. Ich liebte das Publikum. Die Hingabe, die Leidenschaft, die Motivation, die pure Freude, den Willen alles für eine halbe Stunde zu vergessen. Nach 30 Minuten war Schluss und ich liebte die Menschen noch mehr, als sie zu schüchtern waren Zugabe zu rufen, wir hatten eh keinen passablen Song mehr. 1200 Handyfotos und Umarmungen später, packten wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg.

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“Seine Schwester sei besessen von Hardcore und Punk, liebte alle Amerikanischen Bands und würde ausrasten, wenn sie erfahren würde, dass er uns im Zug getroffen hat.”

Kapitel 3

Wir waren noch völlig zugedröhnt vom Konzert und schafften es irgendwie uns zu fünft plus Fahrer und Gepäck in einen Polo zu quetschen. Ziel war eine kleine Bar am Stadtrand, die man uns unbedingt zeigen wollte. Wir hatten noch Zeit bis der letzte Zug nach Rabat fuhr, wo wir die Nacht verbringen und unser nächstes Konzert spielen sollten. Es war bereits früher Abend, die Sonne ging langsam unter, die Stadt war ruhig, Menschen genossen die letzte Wärme auf der Straßen. Wir tranken Cola, Fanta und Wein und ich nutzte die Gelegenheit eines sauberen Klos. Alte Tourregel, wenn du die Chance hast, nutze sie, du weißt nicht, wann du wieder kannst.
Kurze Zeit später befanden wir uns wieder zusammengequetscht im Auto und schafften es gerade so zum Bahnhof. Dort wartete der Rest der Gang um sich von uns zu verabschieden. Im Zug hatten wir massiv mit Müdigkeit zu kämpfen. Unsere beiden Begleiter sollten uns wohl noch bis nach Rabat begleiten. Inzwischen konnten wir nicht ohne sie und es wunderte uns nicht, dass sie wieder ein paar Reihen entfernt von uns saßen und uns fast nie aus den Augen ließen.
Die Zugfahrt lief ereignislos. Nur ein Junger Typ stellte sich uns vor. Seine Schwester sei besessen von Hardcore und Punk, liebte alle Amerikanischen Bands und würde ausrasten, wenn sie erfahren würde, dass er uns im Zug getroffen hat. Irgendwie schwer zu glauben, aber wir schenkten ihm ein paar Sticker. Er lief noch ca. 14 Mal bei uns vorbei. Wir vermuteten, dass er Gras auf dem Zugklo vertickte. Rabat, Hauptstadt Marokkos, präsentierte sich mit dem Hauptbahnhof recht eindrucksvoll. Relativ neu, sauber, hell beleuchtet. Da kann sich Düsseldorf, Bottrop und Gelsenkirchen mal eine Scheibe abschneiden. Unsere beiden Kumpels führen uns durch die Stadt. Endlich sollten wir Jeffrey kennenlernen. In den Mails präsentierte er sich als schwer einzuschätzen. Immerhin waren wir in Marokko und haben ein Konzert gespielt, also so falsch konnte es nicht laufen. Selbst wenn es das einzige Konzert bleiben sollte. Ich mache es kurz: Jeffrey war ein windiger Typ, der vermutlich mit unserem Besuch Kulturförderung abstaubte und sich größtenteils in die eigene Tasche steckte. Falsche Versprechen, widersprüchliche Ansagen zu Konzerten, allgemein komisches Verhalten. Trotz all dem wären wir ohne ihn nicht in Marokko. Er war ein Phänomen, welches wir bis heute nicht begreifen. Er hatte es auch geschafft uns in der Innenstadt von Rabat ein kleines Apartment für drei Nächte zu besorgen. Viel passierte nicht mehr nach unserer Ankunft. Es war ein beschissen langer Tag mit einer 7 Stunden Autofahrt, einem Flug, zwei Zugfahrten durch Afrika und irgendwo zwischen drin spielten wir ein Konzert. Resultat: Klo, Dusche, Bett.

“Die Nacht war jung also suchten wir uns die dreckigste, gruseligste und verrauchteste Spelunke...”

Kapitel 4

Am nächsten Morgen kauften wir uns Frühstück und frische Avocado-Säfte. Wir sollten 14:30 abgeholt werden, 16:30 klingelte es dann wirklich und unsere beiden Begleiter standen an der Tür. Das Konzert fand, surprise, in einem Kino statt. Einem Kino im Kulturministerium. Von der Größe ähnlich eindrucksvoll wie am Tag zuvor. Jeffrey entschuldigte sich, dass es keine größere Location gab. „Werden denn Leute kommen heute Abend?“ „I hope so“. Das ist eh die beste, beruhigendste Antwort eines Promoters, die jede Band liebt. Wir würden die einzige Band sein. Ok. Kein Problem. Soundcheck war überraschend gut. Ich glaube der Tontyp hatte keine Ahnung was Hardcore ist, hatte auch nur semi Interesse daran, ließ aber alles verdammt gut klingen. Die restliche Zeit verbrachten wir teetrinkend in einem Café vor dem Kulturministerium. Wir beobachteten wie diverse Kids, die zum Konzert wollten, vom Türsteher abgewiesen wurden. Interessant. Die Sache wurde Christian zu bunt und er suchte Klärung bei Jeffrey. Klärung gab es nicht, nur noch mehr Konfusion. Irgendwann wurden die Türen offiziell geöffnet. Skater bettelten uns an sie kostenlos reinzulassen. Das Konzert war aber eh kostenlos. Lass es 20 Leute beim Konzert gewesen sein, lass den Altersdurchschnitt bei 17 gewesen sein und lass Jeffrey ein Arsch sein, das Konzert war gut, 20 Leute hatten Spaß, wir feierten Marokko immer noch, bzw. immer mehr, packten unsere Sachen und warteten nicht bis die Securities und raus schmissen. Vor dem Ministerium schüttelten wir kurz Hände mit den Skatern und liefen dann zurück zum Apartment. Die Nacht war jung also suchten wir uns die dreckigste, gruseligste und verrauchteste Spelunke um ein paar Bier/Cola zu trinken. Bärtige Araber diskutierten laut, ein Student saß lesend in der Ecke und ein alter Suffkopp kaufte uns Nüsse. Der Barmann kam oft und fragte nach unserem Wohlbefinden. Obwohl wir nicht hätten stärker auffallen können, interessierte sich wieder nicht wirklich jemand für uns. Ich weiß nicht ob es Desinteresse oder Höflichkeit war, aber mir gefiel es. Unsere Naivität hatte uns an einen guten Ort geführt. Später, zurück in der Wohnung, fand Marv das WLAN-Passwort an der Wand des Wohnzimmers in unserem Apartment und stoppte damit jegliche Gespräche zwischen uns. 5 Typen Anfang 30, die auf ihr Handy starren. Tourlife... Der nächste Tag startete damit, dass ich im schlechtesten 90s Schulfranzösisch fleischfreies („sans viande!“) Frühstück und Orangensaft („jus d'orange“) bestellte, wobei ich nicht wusste ob meine Aussprache oder meine Grammatik beschissener war.
Wir hatten einen Offtag vor uns und hatten uns vorgenommen die Stadt unsicher zu machen. Die Medina war eng und wild, aber nie beängstigend. Wir wurden in Ruhe gelassen, keiner drängte sich uns auf. Am Meer wird Marv von zwei Typen angesprochen, die gern ein Foto mit ihm machen möchten. Kein Problem natürlich. Wir saßen und guckten auf die Wellen, junge Marokkaner tauschten heimlich Joints und Bier aus, junge Pärchen küssten sich im Schutz der Klippen, die Welt war in Ordnung. Wir kauften uns selbst noch Bier in einem, ich nenne es mal Späti und verbrachten den Abend damit, dass Marv uns von Schwulenorgien in der Umkleide des FC Bayerns erzählte.

“Der Zug fing schon an zu rollen, als ich immer noch auf dem Bahnhof stand und einfach nicht reinkam.”

Kapitel 5

Neuer Tag, neues Glück in Afrika. Zurück zum Bahnhof mit dem ganzen Krempel. Unsere beiden Begleiter tauchten nicht auf, wir hatten uns auch nicht verabschieden können. Trotzdem gelang es uns die Tickets nach Casablanca zu kaufen. Unsere Hoffnung auf eine entspannte Zugfahrt wurde durch tausende Menschen zerstört, die die gleiche Idee hatten. Der Zug fing schon an zu rollen, als ich immer noch auf dem Bahnhof stand und einfach nicht reinkam. Die hilfsbereite Meute zog mich im letzten Moment doch noch an Bord und wir machten es uns bequem. 30 Grad, Mensch an Mensch. Aike und ich standen mit einem weiteren Menschen und 4 Taschen in diesem Miniabteil zwischen zwei Waggons. Es war höllisch laut, Kinder wurden zum Klo gereicht und zurück. Wasser wurde geteilt, die Stimmung hätte nicht besser sein können. Nach einer Stunde waren wir trotzdem irgendwie froh in Casablanca aussteigen zu können.
Khalil, der Veranstalter und Sänger von Riot Stones aus Casablanca holte uns zusammen mit seiner Freundin Emma ab. Khalil hätte auch gut aus Boston oder London kommen können. Er sprach astreines US-Englisch, trug Shirts von angesagten Bands und wusste eigentlich fast alles über HC und Punk. Er hatte eine große Sehnsucht nach Europa und Amerika, das wurde uns schnell bewusst. Casablanca war weniger wild als erwartet, eher im Gegenteil, es hätte auch in Spanien oder Italien liegen können. Viele Touristen, eine moderne Innenstadt, an jeder Ecke wurde gebaut. Eine moderne Straßenbahn brachte uns an den Stadtrand zu einem großem Einkaufszentrum. Im Erdgeschoss, direkt an ein Parkhaus angrenzend, befand sich der Club. Kategorie Kulturzentrum. Proberäume, Büros und einen Konzertraum, der von der Größe her nicht hätte perfekter sein können. Das Publikum war international. Amerikaner, Spanier, Holländer, Deutsche und natürlich viele Marokkaner. Ein junges Mädchen begrüßte uns euphorisch und wollte uns unbedingt für ihr Fanzine interviewen. Später stellte sich heraus, dass wir ihren Bruder vor 2 Tagen in der Bahn nach Rabat getroffen hatten. (Der Gras-Ticker!) Die Vorbands Tachamarod und Riot Stones waren tight und fett, mehr gibt es nicht zu sagen. Die Leute hatten Bock und als wir die Bühne betraten, mussten wir nicht mehr viel zum eigentlich Abriss beitragen. Es folgen 32 Minuten (wir spielten das lange Set!) Fleischhaufen, Menschenmassen, Lächeln, Stage-Dives, usw. Wenn es mal eine perfekte UAS-Show gab, dann eventuell diese. Christians Ansagen kamen wie aus dem Maschinengewehr, Aike traf fast alle Einsen und Marv lächelte süffisant hinter seinem Bart. So musste das sein. Nach dem Konzert wieder Fotos & Händeschütteln. Eindrucksvoll war der Gitarrist von Riot Stones, der eine grandiose Show hingelegt hat und dabei immer so grimmig aussah, als wolle er den Menschen in der ersten Reihe den Kopf abreißen. Dabei war er einfach nur ein liebes Kerlchen, der nicht nur 1000mal besser Gitarre spielte als ich sondern auch viel mehr drüber wusste.
Nach der Show ging es ziemlich schnell weiter. Ziel war eine Kneipe in der Innenstadt. Wir teilten uns auf drei Taxis auf und hofften auf die Stadtkenntnis unserer Fahrer. Marv, Aike und ich leider umsonst. Wir landeten nicht direkt vor der Kneipe sondern irgendwo und mussten uns dann relativ mühsam wieder zusammen telefonieren. Die Kneipe war etwas spelunkig. Irgendwann kam Klara aus Nossen dazu. Sie studierte ein Semester in Casablanca. Natürlich hatten wir gemeinsame Freunde aus Ostdeutschland. Die Welt ist und bleibt ein Dorf. Freundlicherweise durften wir in Klaras WG übernachten. 10 Minuten laufen und wir waren da, machten uns auf der Zwischenetage der 200qm breit und schliefen. Wir schliefen sogar richtig lange, denn am nächsten Tag stand nicht viel auf dem Plan.

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“Bis heute verstehe ich nicht, warum keiner der Grenzer jemals was zum Merch gesagt hat. 50 identische T-Shirts, eingeschweißt, ist eigentlich kein normales Reisegepäck.”

Kapitel 6

Wir hatten es tatsächlich geschafft drei Konzerte zu spielen. Es war uns nun egal, ob wir es zurück nach Deutschland schaffen würden. Aike, Jaki und ich mussten wegen unserer Jobs irgendwann im Laufe des Abends einen Zug zurück nach Fes nehmen. Unser Flug nach Düsseldorf ging am nächsten Morgen und wir hatten extra noch eine Absteige für ein paar Euro in Fes gebucht. Christian und Marv blieben noch ein paar Tage länger in Marokko. Wir verbrachten den Tag in Casablanca. Wir machten Fotos vor der fünftgrößten Moschee der Welt, Khalil führte uns durch die Medina, für 50Cent schlugen wir uns die Mägen voll. Es war ein ruhiger Tag in einer schönen, großen, dreckigen, chaotischen Stadt. Leicht melancholisch wurden wir, als wir drei uns von Christian und Marv verabschieden mussten. Wir nahmen die Straßenbahn zum Bahnhof, kauften uns ein Ticket für ein paar Euro und bereiteten uns auf die vierstündige Fahrt vor in dem wir wieder viel zu billig Chips und Cola kauften. Aus vier Stunden wurden aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen 5,5 Stunden und wir erreichten Fes kurz nach Mitternacht. Ein Taxi brachte uns zum Hotel, wir schliefen 4 Stunden um uns vom schlafenden Portier ein weiteres Taxi zum Flughafen rufen zu lassen. Der Check In des Basses machte diesmal null Probleme, nur war der Security Check zeitlich so knapp bemessen, dass wir beinahe unseren Flug verpassten. Egal, irgendwann saßen wir und ein paar Stunden landeten wir in Weeze. Natürlich mussten wir noch einmal durch einen Sondercheck, aber es wurde kein Sprengstoff in unseren Instrumenten gefunden. Bis heute verstehe ich nicht, warum keiner der Grenzer jemals was zum Merch gesagt hat. 50 identische T-Shirts, eingeschweißt, ist eigentlich kein normales Reisegepäck. Wir verbrachten anschließend ein paar Stunden im wunderschönen Düsseldorf (never again) um später unsere Plätze im Ruheabteil der ersten Klasse eines ICE nach Berlin einzunehmen. Spartickets sind etwas seltsames...Bei einem Andockmanöver zweier Waggons flogen unsere Biere durchs Abteil, so dass die erste Klasse die letzten 2 Stunden roch wie ein Regionalbahnwagen nach einem Drittligaspiel in Südbrandenburg. Wenigstens gab es Gummibärchen umsonst.

Was bleibt nach unserer Reise? Viele sehr schöne Momente, viele sehr liebe Menschen mit Herzen groß wie der afrikanische Kontinent und die Erkenntnis, dass Hardcore immer noch auf Grenzen scheißt. Das ist vielleicht das Wichtigste. Egal wo wir auch spielen, egal welche Religion Menschen vor der Bühne haben oder auch nicht, welche Hautfarbe, Geschlecht, Hintergrund, Vergangenheit und Zukunft. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Hardcore macht das Päckchen etwas leichter.

“Morocco Tour Movie & Live in Casablanca.”

Video

Music: "away from home but never alone" (remix) performed by Johnny Beat
Edit: Johnny Beat



Live in Casablanca.